Der jüdische Friedhof in Guntersblum

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Vorbemerkung

Ein Friedhof ist – nach jüdischem Verständnis – ein „Haus des Lebens“: ein Ort des ewigen Gedenkens an die Toten und ein Platz, an dem die Hoffnung auf neues Leben nicht erlischt. Ein jüdisches Grab wird nicht – wie möglicherweise ein christliches nach einer vorgegebenen „Ruhezeit“  – eingeebnet.

Der Stein bleibt bestehen; er ist den Einflüssen der Witterungen überlassen.

Die Ortsgemeinde Guntersblum bemüht sich in Abstimmung mit der Jüdischen Gemeinde Mainz, deren Eigentum der Friedhof ist, diese Tradition zu bewahren und gleichzeitig den Ort angemessen zu pflegen und zu erhalten.

Nach jüdischem Brauchtum tragen Männer auf einem jüdischen Friedhof (wie in einer Synagoge) eine Kopfbedeckung: eine Kippa oder einen Hut. Wir möchten Sie bitten, nach Möglichkeit diese Tradition zu respektieren bei einem Besuch eines jüdischen Friedhofs.

 

 

Der jüdische Friedhof in Guntersblum

… ist einer der ältesten zwischen Worms und Mainz: aktenkundig seit 1736. Mit seiner Lage gehört er in die fast tausend Jahre alte Region der SchUM-Städte: so nannten die Juden im Mittelalter die drei größten und einflussreichsten jüdischen Gemeinden im deutschen Raum: Speyer, Worms und Mainz. SchUM setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben der hebräischen Namen der drei Städte: Schin (Sch) für Schpira, Waw (W) für Warmaisa und Mem (M) für Magenza. Möglicherweise gehören diese SchUM-Städte bald zum Weltkulturerbe: die UNESCO wird darüber in den kommenden Jahren entscheiden.

Der älteste der heute noch lesbaren 72 Grabsteine in Guntersblum stammt aus dem Jahr 1849 (Grab Nr. 1, s.u.). Alle Steine sind nach Osten hin ausgerichtet: in Erwartung des Messias am Auferstehungstag in Jerusalem.

Alle (außer einem: Grab Nr. 1) tragen hebräische Schriftzeichen, manche zusätzlich auch eine deutsche Inschrift. Auch einige Symbole, die eigentlich christlichen Grabsteinen zugeordnet werden, sind zu finden (zum Beispiel die Trauerfigur auf Grab Nr. 47).

Während des Nationalsozialismus wurde der Friedhof nur wenig beschädigt; mindestens ein Grabstein wurde nachweislich gestohlen – wie auch in den Zeiten davor mehrfach geschehen. Im Jahr 1969 allerdings verwüsteten ihn Unbekannte – die umgeworfenen Grabsteine ließen Bezirksregierung und Landkreis wieder aufstellen.

Ein großer Teil des Friedhofs ist eine leere Wiese: viele jüdische Guntersblumer konnten hier nicht mehr beerdigt werden. Sie wurden während des Nationalsozialismus ermordet oder konnten ins Ausland fliehen. Die letzte Beerdigung nach jüdischem Ritus fand vermutlich im Jahr 1936 statt – die Angehörigen hatten jedoch kein Geld mehr, um einen Grabstein zu bezahlen (Grab Nr. 73).

An die nach 1933 noch in Guntersblum wohnenden Opfer des „Dritten Reichs“ erinnern 23 Stolpersteine: sie wurden 2011 in der Gemeinde vor den Häusern verlegt, in denen die Verfolgten vor ihrem Tod zuletzt gelebt hatten.

Auf den Spuren ihrer Vorfahren besuchen jedes Jahr viele Menschen den Friedhof: Juden, die vor 1945 fliehen konnten, ihre Angehörigen oder auch Nachkommen der Ermordeten: sie reisen aus aller Welt an; die meisten kommen aus Israel oder den USA.

 

 Lage

Der Friedhof liegt am Ortsrand Guntersblums in Richtung Eimsheim; links vom Eingangstor sieht man noch heute den „Erbsenbrunnen“ – nach jüdischer Tradition wurde das Wasser benötigt, um die Toten zu waschen, sowie für die rituelle Reinigung der Hände nach dem Friedhofsbesuch. Ein Waschhaus für die Toten befand sich im unteren Bereich rechts in der Nähe des Eingangs; es war aus Holz und musste nach 1945 wegen Baufälligkeit abgerissen werden.

 

Besondere Grabsteine

Joseph und Jeanette Salm (Nr. 1): Der Grabstein der Eheleute Salm ist der älteste und gleichzeitig der größte und bemerkenswertes des Friedhofs. Joseph Salm war einer der bedeutendsten Mitglieder der Jüdischen Gemeinde und 50 Jahre lang deren Vorsteher; außerdem war er 35 Jahre lang Mitglied im Guntersblumer Dorfgemeinderat. Das Ehepaar Salm starb 1849 im Abstand von nur 13 Tagen; der Stein trägt ausschließlich einen deutschen, keinen hebräischen Text – ein Grund ist wohl die politische Stimmung, die die Bevölkerung in der Revolutionszeit 1848 mehrheitlich erfasst hatte.

Eleonore „Ella“ Mayer (Nr. 26): An der Ruhestätte der kleinen Ella, die 1892 mit nur zwei Jahren starb, zeigt sich ein beispielhaftes Schicksal vieler Familien im Nationalsozialismus: Ellas Mutter Eva wurde 1942 im Alter von 75 Jahren in Theresienstadt ermordet. Ellas Schwester Paula, geboren 1891, gelang gemeinsam mit ihrem Mann die Flucht über Russland und Japan in die USA. Ellas Bruder Arthur, im Ersten Weltkrieg Fahrer von Hermann Göring, wurde im KZ Osthofen inhaftiert; schließlich gelang auch ihm die Flucht in die USA.

 

 


ein Mädchen, zart wie eine Rose,
nur kurz im Felde erblüht,
und rasch sie (von uns) flieht - sie ist
Ella, Tochter des Simon. Sie starb
am 25. Adar 652 nach kleiner Zählung.
Ihre Seele sei im Bunde des Lebens aufgenommen.

 

Die jüdische Gemeinde

Guntersblum besaß einst eine große jüdische Gemeinde (etwa im Jahr 1821 zehn Prozent der Bevölkerung). Die Juden waren in das Dorfleben integriert – zum Beispiel als Weinhändler, im Einzelhandel, und sie haben dort sichtbare Spuren hinterlassen: Es war ein Jude, der  die Turnhalle,  das heutige Dorfgemeinschaftshaus,  baute - der Ingenieur und Architekt Siegfried Monat, geboren 1901. Er hat nie ein Honorar dafür erhalten: durch die Weltwirtschaftskrise verlor der Turnverein alle dafür eingesammelten Spenden. Siegfried Monat emigrierte 1933 mit seiner Frau und den zwei Kindern nach Brasilien. Sein Vater David Monat wurde 1942 im Alter von 78 Jahren in Theresienstadt ermordet. Vor seinem Wohnhaus in der Mittelstraße 8 liegt ein Stolperstein.

Vor dem „Dritten Reich“ waren die Juden – trotz einiger, teilweise antisemitisch bedingter Distanz – selbstverständlicher Teil der Dorfgemeinschaft. Das änderte sich ab 1933. Die Repressalien der Nationalsozialisten trafen auch die jüdischen Guntersblumer: sie wurden verfolgt und gedemütigt – etwa während der Reichspogromnacht: Am 10. November 1938 trieben die Nazis unter den Augen der Dorfbewohner die jüdischen Männer in einem „Schandmarsch“ durch die Straßen und verwüsteten ihre Wohnungen. Das Inventar der Synagoge wurde vor dem Rathaus auf einem Scheiterhaufen verbrannt.

Von den etwa 50 Juden, die vor 1933 in Guntersblum gelebt hatten, konnten etliche ins Ausland fliehen – mehr als die Hälfte wurde in Konzentrationslagern ermordet. Nur eine einzige Jüdin lebte nach dem „Dritten Reich“ noch in Guntersblum: sie war gemeinsam mit ihrer Tochter vor den Nazis versteckt worden.

Noch heute kann man Spuren des jüdischen Gemeindelebens im Dorf finden, beispielsweise die Synagoge: sie wurde vermutlich im 17. Jahrhundert gebaut; der letzte Gottesdienst fand im Oktober 1938 dort statt. Heute gehört sie zum Weingut Domhof  (Bleichstr. 12-14, Telefon 06249 805767, www.weingut-domhof.de) und kann nach vorheriger Terminabsprache besichtigt werden.

 

 

 

 


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