Hans Jakob Schmitt ist verstorben -

ein Nachruf

11. Januar 2022

 

Hans Jakob Schmitt, 4. November 2012 im Museum Guntersblum
bei der Lesung zu seinem Buch "Leben in stürmischer Zeit"
Foto: Ingrid Wöller, Guntersblum
 

Am 11. Januar 2022 ist Hans Jakob Schmitt, Oberstudiendirektor a.D., im Alter von 95 Jahren entschlafen. Die Stolpersteingruppe Guntersblum gedenkt seiner als des Vaters und Initiators ihrer Erinnerungsarbeit für die im „Dritten Reich“ untergegangene jüdische Gemeinde Guntersblum. Er, der sich scherzhaft selbst als den Ersatzjuden Guntersblums bezeichnete, war als Einziger Bindeglied zwischen einerseits der hiesigen alten jüdischen Gemeinde und andererseits ihren wenigen in das Ausland versprengten Nachkommen. In seiner Erinnerung an früher konnte er spazieren gehen zu den Häusern, in denen hier einst jüdische Menschen in gutem Einvernehmen mit ihren nichtjüdischen Nachbarn gelebt hatten. An einem solchen „Spaziergang“ hat er uns in seiner unnachahmlichen Rhetorik teilnehmen lassen im Rahmen der Gedenkstunde am Vorabend der Stolpersteinverlegung, am 1. April 2011 im Guntersblumer Dorfgemeinschaftshaus (nachzulesen, mit Foto in meinem Buch über die Geschichte unserer jüdischen Gemeinde).

Hans Jakob hatte eine jüdische Großmutter. Als Kind hat er unter diesem „Makel“ gelitten, weil er nicht wie seine Alterskameraden zur Hitlerjugend gehören durfte. Als Soldat konnte er nicht Offizier werden wie seine Mitabiturienten. Aber als nur ¾-Arier stand er seinen jüdischen Mitmenschen näher als die Masse der 100 %-Arier. Das blieb ihm wohl erhalten, solange er lebte.

Das Heimweh nach der alten Heimat, das pietätvolle Wissen um die Gräber der Vorfahren auf dem jüdischen Friedhof, hat viele geflüchtete Juden nach dem Krieg einmal oder mehrmals den Weg nach Guntersblum finden lassen. Emil Rüb kam fast jährlich, so lange es die Gesundheit zuließ; oft mit seiner in Amerika geborenen Tochter Dena (sprich „Dina“). Auch sie sollte das Land der Väter kennen lernen. Sie kommt heute noch, hat Deutsch gelernt, sogar die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen, wurde vielen hier zur guten Freundin, auch uns Stolpersteinleuten. Hans Jakob Schmitt gehörte wohl immer zu Denas Besuchsprogramm in Deutschland.

Einer der ersten Nachkriegsbesucher war Ludwig Liebmann, der beim Novemberpogrom am 10.11.1938 entsetzliche Erniedrigungen und schlimmste leibliche Attacken durch Guntersblumer Bürger hatte erleiden müssen. Sein eigener Bericht darüber befand sich als Abschrift (Schreibmaschinen-Durchschlag) in Emil Rübs Nachlass und kam durch Dena in meine Hände. Hans Jakob Schmitt hatte mit eigenen Augen angesehen (aus dem Fenster seines Elternhauses in der Hauptstraße), wie man auf Ludwig Liebmanns schon verletztem Kopf Pferdeäpfel zerdrückte. Der so Geschundene hatte sich geschworen, nie wieder Guntersblums Boden zu betreten. Dennoch wollte er Hans Jakob treffen. Er logierte in einem Hotel in Alsheim, ließ sich per Auto nach Guntersblum fahren, schickte den Fahrer in Schmitts Haus, um Hans Jakob heraus zu bitten. Er selbst verließ das Auto nicht, getreu seinem Schwur. So konnten die Freunde sich treffen; richtig aber erst danach in Alsheim. Hans Jakob Schmitt hat mir diese ihn selbst tief berührende Begebenheit oft erzählt.

Die Besuche der ehedem Guntersblumer Juden im Hause Schmitt verliefen sonst nicht so dramatisch. Aber immer war er die Guntersblumer Anlaufadresse für diese Besucher. Erst nach meiner Pensionierung, 1993, habe ich mich der jüdischen Vergangenheit Guntersblums zugewandt, nachdem ich auf hoch interessantes Aktenmaterial zu den Guntersblumer Juden im alten Pfarrarchiv gestoßen war und beschlossen hatte, darüber ein Buch zu schreiben. Herr Schmitt wusste das und hat mich dann zu sich eingeladen, wenn wieder jüdischer Besuch bei ihm war. So konnte ich mehrere noch in ihrer Kindheit persönlich betroffene Guntersblumer jüdische Zeitzeugen persönlich kennenlernen. Jetzt lebt von diesen niemand mehr.

Mein Buch (die erste Auflage) wurde 1998 im Eigenverlag veröffentlicht. Sein Inhalt war entstanden durch ständigen Gedankenaustausch zwischen Hans Jakob Schmitt und mir. Oft musste er mich verbessern. Das Buch wäre ohne sein dazutun nicht entstanden. Die spätere datensammelnde Arbeit der Stolpersteingruppe basierte wesentlich auf dem Buch. Aber Entscheidendes fehlte ihm: Der jüdische Friedhof. Neugier trieb mich, hinter das Rätsel seiner Inschriften zu kommen. Mein Schulhebräisch reichte dafür nicht. Ich konnte unser Landesamt für Denkmalpflege (Mainz) dazu gewinnen, die Dokumentation als Buch zu finanzieren, auch eine Fachfrau für hebräische Inschriften  u n d   das fachmännische Fotografieren aller Grabsteine. Viele aber waren verdeckt durch Büsche und Bäume, verschmutzt durch Staub und Vogelkot, Moos und Flechten. Wir (wer war das? Da verlässt mich mein Gedächtnis. Es gab ja noch keine Stolpersteingruppe) rückten an mit Leiter, Sägen und Gartenscheren. Am eifrigsten wirkte Hans Jakob Schmitt bei dieser Arbeit mit. Als der Nächstwohnende brachte er auch die Gerätschaften herbei, und Putzlumpen und große Eimer, die am Brunnen vor dem Friedhofstor mit Wasser gefüllt und zu den Steinen geschleppt wurden. Der Fotograf konnte dann unbehindert arbeiten.

(Dieter Michaelis, 13. Januar 2022)

 


Wir werden Hans Jakob Schmitt vermissen und ihm ein würdiges Andenken bewahren.

 In stiller Trauer

Die Stolpersteingruppe Guntersblum

im Januar 2022