Pogrom am 10. November 1938

Ein trauriger Höhepunkt der Verfolgung jüdischer Mitbürger in Guntersblum fand am 10. November 1938 statt. Örtliche Nationalsozialisten zwangen sechs männliche Guntersblumer Juden zu einem mehrstündigen Demütigungsmarsch durch die Ortsstraßen. Dazu wurden sie gezwungen, die aus der Synagoge entwendeten Thorarollen, Gebetsmäntel und Schals zu tragen. Zeitgleich wurde in der  Synagoge und in etlichen Häusern Mobiliar und Hausrat zerstört und geplündert. Zum Abschluss des Schandmarsches wurden im Beisein der Gedemütigten die Thorarollen, sowie weitere Kult- und Einrichtungsgegenstände aus der Synagoge auf dem Rathausplatz verbrannt. Es gab wohl schulfrei für die Kinder, somit konnten sie das traurige Ereignis vor Ort miterleben.

10. November 1938 Schandmarsch in Guntersblum
Foto: Landesarchiv Speyer, Bestand X 3 , Nr. 111

 

Auszug aus einer notariell beglaubigten Anzeige eines der erniedrigten Guntersblumer Juden vom 16.09.1946 an die Guntersblumer Gendarmerie-station:

"Wir mussten im sogenannten Gänsemarsch marschieren, angepöbelt, vollgespuckt, mit Steinen und Sand beworfen, Beine gestellt usw. von der uns begleitenden ‚schäumenden Volksmenge‘. Als wir durch die ganz schmalen Gässchen wie Geisenmarkt, Bienengässchen, Schulgässchen usw. geführt wurden, ging die Schlägerei gegen uns erst richtig los. Ein jeder von uns Juden musste in diesen schmalen Gässchen abwechselnd ans Ende dieser schändlichen Prozession, und auf uns wurde dann mit allen möglichen Gegenständen und Instrumenten eingehauen".

 

10. November 1938 Schandmarsch in Guntersblum
Fotos oben und unten: Landesarchiv Speyer, Bestand X 3

 

Im August 1947 wurden, aufgrund von Anzeigen der beiden einzigen Überlebenden des Demütigungsmarsches, gegen sieben Guntersblumer Haftbefehl wg. Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen. Am 07.03.1948 endet der Prozess gegen fünf Angeklagte vor dem Landgericht in Mainz mit der Urteilsverkündung. Zwei Verfahren waren vorher abgetrennt und am 17.06.1950 endgültig eingestellt worden. Der Hauptangeklagte wurde zu 2 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Drei weitere Angeklagten erhielten Strafen von 12, 8 und 6 Monaten Gefängnis, ein Angeklagter wurde freigesprochen. Aufgrund der Anrechnung der jeweiligen Untersuchungshaft, lfd. Revisionen, sowie des Amnestiegesetzes vom 31.12.1949, wurden die Strafen nicht oder nur zum Teil verbüßt und mit Auflagen bis zum 15.09.1952 zur Bewährung ausgesetzt. Gegen einige weitere Täter wurde aus unterschiedlichen Gründen nie ein Verfahren eingeleitet.

 


Am 10. November 2018, also 80 Jahre nach dem Schandmarsch, organisierte die Stolpersteingruppe Guntersblum eine Mahnwache auf dem Rathausplatz, zu der über 120 Personen erschienen. Dabei wurden die Bilder des Schandmarsches auf die Wand des Rathauses projiziert. Für jedes Guntersblumer Opfer des Holocaust wurde ein Licht angezündet und aufgestellt. Nach zwei Ansprachen und Musikstücken wurde auszugsweise die Anzeige eines der Überlebenden verlesen. Abschließend wurden alle Namen der Guntersblumer Opfer des NS-Regimes von den Konfirmanden des Jahrgangs 2018/19 vorgelesen, sowie deren jeweiligen Fotos bzw. Aufnahmen der Stolpersteine auf der Fassade des Rathauses dargestellt.


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Sie spuckten die Juden an und riefen "Aufhängen" - Artikel aus der WELT vom 10.11.2018


Berliner Ausstellung zeigt Novemberpogrom in Guntersblum - Artikel aus der WELT vom 9.11.2018


Öffentlich gedemütigt - Artikel aus der WELT vom 8. 11.2008